Ein echt krasser Traum!

Was wäre, wenn Plattdeutsch einfach weg wäre?

von Christianne Nölting

Die Geschichte zum Anhören:

Die Geschichte zum Lesen:

Stell Dir vor, ich habe geträumt, dass Plattdeutsch weg wäre. Einfach ganz weg – überall in Hamburg! Einfach nicht mehr da.

Im Traum dachte ich: Das will ich sehen, ziehe mich an und verlasse meine Wohnung in „Eulenhorst“. Ich will aus dem Hamburger „Binnenland“ – äh, Innenland zur „Waterk…“ nein, Wasserkante und laufe in Richtung Elbe. Die Leute auf der Straße grüßen sich, sagen „guten Tag“ – „Moin!“ ist verschwunden. Beim Abschied heißt es „auf Wiedersehen“ – „Tschüß“ ist ja auch weg.

An der Elbe ist Flut.

Geht auch nicht mehr anders – die beiden „b“ im hochdeutschen „Ebbe“ sind ja plattdeutscher Lautstand. Die Ebbe gibt es also nicht mehr. Auf den Schrecken will ich mir ein Krabbenbrötchen gönnen – aber für „Krabbe“ gilt ja dasselbe wie für Ebbe – auch futsch. Mit leerem Magen laufe ich in Richtung Stadt und setze mich in „Pflanzen und Blumen“ auf eine Bank.

Ich will eigentlich noch über die „Taumacherbahn“ weiter gen „Allzunah“. Aber dann entscheide ich mich erst einmal für einen Abstecher auf den Gras…, den Grasdingsda – den Ort, wo Gras auf sumpfigem von Wasser durchzogenem Gehölz sein soll – also dorthin wo „Stürzdenbecher“ kopflos an „Gleichteilern“ vorbeigewandert sein soll.

Ich brauchte eine Verschnaufpause und gucke Richtung Westen – kann es nicht sehen – aber ich weiß, es ist dort: „Blankenase“. Das ist mir zu weit und wandere zurück nach „Pflanzen und Blumen“ und setze mich wieder auf meine Bank. Da kommt ein Mann vorbei. Er guckt freundlich. Ich schmettere ihm ein herzhaftes „Hummel, Hummel!“ entgegen. Prompt kommt seine fröhliche Antwort: „Arsch, Arsch“!

Oha, denke ich. So weit ist es also schon in „Pflanzen und Blumen“.

Pflanzen. Ich hätte ja so gern mein „Planten“ zurück. „Plant“. Du bist mehr als ein plattdeutsches Wort. Du bist eine Brücke – du bist ein Tor! Wenn man bei Dir anklopft, dann ist man im Englischen, im Niederländischen, im Dänischen, Norwegischen und Schwedischen. Und du hast so viele Kumpel. Wenn man Euch alle kennt, versteht man automatisch so viele Sprachen leichter.

Aber du, Plattdeutsch, bist ja weg. So viel Hochdeutsch kann gar nicht erfunden werden, dass es Dich ersetzt. Du gibst der Stadt Farbe – gibst uns Hamburgern „Klöör“.

Aber sie sagen, sie wollen Dich nicht mehr. Manche nervst Du. Du bist zu viel und zu schwer.

Ja, mit Letzterem haben sie Recht. Du hast Gewicht.

Aber Du bist zu viel? Nee. „Sabbelt nich, dat geiht!“ Es gibt dich hier schon so lange. Tausend Jahre oder so sind ja quasi nichts. Du warst schon in aller Munde, als es Hochdeutsch noch gar nicht im Norden gab.

Und du machst auch Platz für all die vielen anderen Sprachen in der Stadt und sollst deinen doch gern behalten.

Ich will dich wiederhaben:

die Reeperbahn, den Grasbrook, Planten un Blomen, will wieder nach Altona und Blankenese und auch auf die Uhlenhorst. Ich will mein „Moin“ und mein „Tschüß“ zurück – meine Sprachen-DNA. Du bist meine Sprachenfarbe, mein norddeutscher Klang – ein altes, edles Stück Hamburg – viel zu Schade für den dunklen Safe.

„Wat´n Schiet, dat allens…“ Ach nee, „Schiet“ ist ja auch weg – die kleine, mildere Schwester von Scheiße….

So kann es nicht weitergehen. Ich suche Dich jetzt – verlasse „Pflanzen und Blumen“ und gehe zum Hauptbahnhof. Am Heidi-Kabel-Platz finde ich ein leeres Theater. Weiter geht es Richtung Rothenbaumchaussee. Da fehlen ganz viele Journalisten. In der Peterstraße gähnen mich meterweise leere Bücherregale an. Musiker, Künstler aller Art – alle sind weg.

Ich bin fix und alle und schlendere zurück Richtung „Eulenhorst“.

Plötzlich stolpere ich über einen spitzen Stein. Ich falle und werde wach! So ein Glück! Du bist wieder da – du wunderbares Stück Norddeutschland, das uns allen so feste Wurzeln schenkt.

Die Geschichte zum Herunterladen und Ausdrucken:

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